Garching
bei München, 11. August 1999, 12:36 Uhr. Die Sonne tritt in den
Kernschatten der Erde. Tausende von Menschen haben ihre Arbeitsplätze
verlassen und starren gebannt auf das seltene Schauspiel. Um 13.00 Uhr
ist die Phase größter Verfinsterung vorüber. Die Menschen kehren an
ihre Arbeitsplätze zurück, alle zur gleichen Zeit. Ergebnis: eine
Lastspitze im Stromverbrauch, wie es sie selten gegeben hat. Die
Stromversorger waren vorbereitet, denn das Naturereignis ließ sich
genau berechnen. Was geschieht aber, wenn Eisregen im Frühling oder
Blitzschlag zum Ausfall von Übertragungsleitungen und Transformatoren
führen? Wenn ein Kernkraftwerk abgeschaltet werden muss, weil der
nahe gelegene Fluss nicht mehr genügend Kühlwasser liefert? Jörg
Spicker zeigt die Anwendung von Wetterderivaten am Beispiel
verschiedener Branchen.
Nicht
nur die Energieindustrie, auch viele andere Wirtschaftszweige hängen
in erheblichem Maße von den sprichwörtlichen „Unbillen des
Wetters“ ab. Ob Weinbau, Vergnügungsparks, Skipisten oder
Softdrink-Hersteller: Der Umsatz und damit der Gewinn eines
Unternehmens ist oftmals direkt mit den Temperaturen oder
Niederschlagsmengen einer Saison korreliert.
Schätzungen
zufolge werden bis zu 20 % der Wertschöpfung einer Volkswirtschaft
direkt von Wetterbedingungen beeinflusst. Um so erstaunlicher die
Ahnungslosigkeit vieler Unternehmen. Sie scheinen immer noch nicht zu
wissen, dass es bereits seit geraumer Zeit Möglichkeiten zur
Risikobegrenzung gibt. Es klingt fasst hilflos, wenn höchst
erfolgreiche Gesellschaften wie Ruhrgas oder Gasunie in ihren Geschäftsberichten
ausweisen, dass „der Umsatz durch die milden
Jahresmitteltemperaturen um x % gesunken ist“.
Im
Zuge der Liberalisierung der Energiemärkte steigt aber doch das
Risikobewusstsein der Marktteilnehmer. Unternehmen sehen sich
zunehmend gezwungen, ihren Eigentümern verlässliche Voraussagen
ihrer Erträge zu liefern, um weiterhin Wachstumskapital verfügbar zu
machen. Da deregulierte Märkte auch ausgeprägte Preisschwankungen,
unkalkulierbare Absatzverluste und viele weitere Risiken mit sich
bringen, steigt das Interesse an neuen Alternativen der
Risikosteuerung.
Wetterderivate
kommen in Frage, wenn Mengenrisiken begrenzt werden sollen, bei denen
übliche preisbasierte Derivate versagen. Sie eröffnen die Möglichkeiten
eines „vollständigen Hedge“. Durch die Kombination der herkömmlichen
Absicherung einer Energielieferung (etwa über einen Index) mit einer
temperaturabhängigen Variablen lässt sich das Mengenrisiko nahezu
beliebig steuern. Eine Transaktion kann auch mehrere Wettervariable
enthalten, z.B. Temperatur und Niederschlag, und mehrere Lokationen
mit unterschiedlichen Energieträgern umfassen - die Kombinationsmöglichkeiten
sind grenzenlos.
Das
weltweit erste Wetterderivat wurde im Juli 1996 von Aquila Energy,
Kansas City, USA, strukturiert. In den USA tritt gewöhnlich eine
Lastspitze im Sommer wegen des hohen Anteils von Klimaanlagen am
Stromverbrauch auf. Der Sommer 1996 begann nun kühler als erwartet,
so dass der Stromabsatz vieler Weiterverteiler empfindlich zu sinken
begann. Das führte zu geringeren Spotpreisen für Strom. Gleichzeitig
blieb der Gaspreis aber konstant (anstatt - wie erwartet - zu fallen),
so dass die Unternehmen eine teure Gasbeschaffung befürchten mussten.
In dieser Situation entschloss sich Consolidated Edison Co. (New
York), eine kombinierte Gas/Strom- und Wettertransaktion mit Aquila
Energy durchzuführen, von der Consolidated Edison ihren Strom zu
einem Festpreis gekauft hatte. Gleichzeitig war eine Lieferung von Gas
an Aquila Energy zum Spotpreis vereinbart.
Das
Wetterderivat basierte auf Gradtagszahlen (Cooling Degree Days –
CDDs, der positiven Differenz zwischen der Tagesmitteltemperatur und
etwa 18 Grad C) für New York City. Für jeden Dienstag bis Freitag
des Monats August 1996 garantierte Aquila Energy CCDs. Falls die
Differenz zwischen den damals vorhergesagten CCD von 320 und den tatsächlichen
CDD 10 % überschreiten sollte, würde Consolidated Edison einen
Rabatt von 16 000 US$ erhalten, bei einer Überschreitung von 20 % 32
000 US$, bei mehr als 30 % 48 000 US$. Tatsächlich erlebte New York
City im August einige kühle Tage – und Consolidated Edison war
gegen eine weitere Erosion des Ertrages geschützt.
Der
Markt für Wetterderivate in den USA explodierte förmlich im Zuge des
„El Nino“-Winters 1997/98, der extrem milde Temperaturen mit sich
brachte. Die ausführliche Berichterstattung durch die Medien brachte
dieses Klimaphänomen landesweit in die Schlagzeilen, und viele
Unternehmen machten von der Möglichkeit zur Risikobegrenzung
Gebrauch.
Bis
zum Juni 1998 wurden in den USA bereits etwa 500 wetterbasierte
Transaktionen durchgeführt. Ende 1999 lag die Zahl bei über 1 600
Wetterderivaten, mit denen ein geschätztes Gesamtvolumen von 3,5 Mrd.
US$ abgesichert wurde.
Der
Markt für Wetterderivate war lange Zeit ein bilateraler Markt mit
OTC-Transaktionen. Das änderte sich im September 1999, als die
Chicago Mercantile Exchange einen Weather Future und einen Options-
Vertrag auflegte, der elektronisch auf dem GLOBEX ® System der Börse
gehandelt wird. Damit steht dem amerikanischen Markt ein transparenter
Mechanismus zur Preisfindung zur Verfügung. Die alte Welt hinkt
dieser Entwicklung noch hinterher. In Europa werden seit 1998
Wetterkontrakte abgeschlossen.
In
Europa nahmen Wetterderivate 1998 ihren Anfang, während in
Deutschland erst in diesem Jahr entsprechende Abschlüsse dokumentiert
wurden. Das Interesse der Unternehmen an diesen neuartigen Produkten
steigt allerdings spürbar.
Anwendungen in der Energiewirtschaft
Wetterbedingungen
werden traditionell von der Energiewirtschaft eingehend geprüft.
Milde Winter führen häufig dazu, dass Kunden weniger Energie
verbrauchen als normalerweise zu erwarten wäre. Das gilt sowohl für
Gas- als auch für Stromlieferanten. Es ist deshalb nicht
verwunderlich, dass Wetterderivate besonders für und durch die
Energiewirtschaft entwickelt wurden.
Für
den britischen Markt liegen relativ verlässliche Zahlen vor, welche
die Auswirkungen veränderter Wetterkomponenten auf den Stromverbrauch
zeigen:
Auswirkungen
von Wetteränderungen auf den
Stromverbrauch
in Großbritannien
|
Zur
Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Temperatur und
Energieverbrauch werden traditionell Gradtagszahlen verwendet. Ganz
allgemein ist die Gradtagszahl G die Summe der Differenzen zwischen
einer Temperatur (z.B. 18 Grad C) und der gemessenen Temperatur an
einem definierten Ort (z.B. Tagesmitteltemperaturen gemäß Wetteramt
Essen für das Stadtgebiet Essen). In Deutschland wird G meist auf das
Winterhalbjahr (1.10. bis 31.3.) begrenzt. Negative Differenzen werden
in der Summierung nicht berücksichtigt. Als Beispiel zeigt die
Abbildung die genannten Gradtagszahlen für Essen für die Jahre ab
1968/69. Der Mittelwert von G liegt bei 2 003. Bereits heute können
Energielieferverträge Optionen enthalten, bei denen Vertragsmengen in
Abhängigkeit von G erhöht werden.
Tabelle
1: Gradtagszahlen Essen |
In
einem entwickelten Markt kann ein Unternehmen zur Absicherung von
Temperaturen im Winter eine Option auf Gradtagszahlen kaufen. Das ist
beispielsweise an der Chicago Mercantile Exchange (CME) möglich, aber
auch im bilateralen Handel. Ein Kunde kann dabei eine ganze Reihe von
Gradtagszahlen-Verträgen kaufen, z.B. für jeden Monat der
Heizperiode. Jeder Vertrag vergügt über einen eigenen Strike, oder
es wird ein Strike für alle Perioden angeboten. Das Geschäft kann
dann als Option ausgestaltet werden. Naturgemäß wird der zu zahlende
Preis von der "Entfernung" des Strike von den
Normalbedingungen abhängen, in diesem Fall vom Mittelwert der
Gradtagszahlen. Während in Deutschland Mittelwerte von 30 Jahren
betrachtet werden, werden Abschlüsse in den USA ehe auf Basis von
Mittelwerten von 10 bis 15 Jahren getätigt, um klimatische Effekte
wie z.B. globale Erwärmung zu berücksichtigen.
Anwendungen
in der Landwirtschaft
In
der Landwirtschaft liegt die Anwendung von Wetterderivaten so nahe wie
in kaum einer anderen Industrie. Eine frühe Frostperiode kann den
Ertrag eines Zitrusfrüchte-Anbauers beträchtlich verringern.
Andererseits kann die gesundheitliche Verfassung eines Viehbestands
durch einen ungewöhnlich heißen Sommer in Gefahr geraten. Die
Wetterabhängigkeit ist aber komplex; ein Wetterderivat bedarf daher
einer sorgfältigen Strukturierung. Besonders Agrarprodukte sind
extrem wetterempfindlich. Schlechtes Wetter kann unmittelbar Schäden
zufügen, Insektenbefall heraufbeschwören oder gar den Geschmack und
den Charakter des Endprodukts nachteilig beeinflussen.
Der
Anbauertrag kann durch Insektenbefall erheblich gemindert werden. Von
der University of California in Davis wurde eine Datenbank erstellt,
die Wetterbedingungen beschreibt, die Schäden nach sich ziehen.
Aquila Energy hat diese Datenbank bei der Entwicklung von
Wetteroptionen zur Absicherung gegen Schädlingsbefall verwendet.
Die
üblichen Wetterderivate auf Gradtagszahlbasis lassen sich leicht für
diesen Fall adaptieren. Da viele Insekten eine bestimmte Menge und
Dauer an Wärme benötigen, um sich zu entwickeln, eignen sich
Gradtagszahlen zur Vorhersage des Einsatzes von Pestiziden. Damit lässt
sich das Risiko der Landwirte gegen erhöhte Kosten absichern, die
durch Mehrfachanwendungen von Chemikalien entstehen.
Die
Hauptursachen von Mehrfach-Anwendungen von Pestiziden sind:
-
Eine andauernde Wärmeperiode führt zu einer Vielzahl
von Insekten-Lebenszyklen
-
Starker Regen nach Einsatz von Chemikalien reduziert die
Wirkung Niedrige
-
Temperaturen nach dem Einsatz von Chemikalien
verlangsamen die Insektenbildung; nachwachsende Insekten verbreiten
sich, weil die Pestizide ihre Wirkung verlieren.
Ein
komplexes Wetterderivat kann alle Effekte abdecken, muss dann aber
Temperatur- und Niederschlagsdaten berücksichtigen. Dann ist ein
solches Produkt nicht nur für den Weinbauern interessant: auch ein
Chemikalienhersteller könnte eine Wetteroption in seinen
Verkaufsvertrag einbetten lassen. Der Landwirt erwirbt eine bestimmte
Menge von Pestiziden für anfängliche Chemikalienanwendung. Sollte
sich eine der drei Wettereventualitäten einstellen, stellt der
Hersteller zusätzliche Chemikalien zur Behandlung zur Verfügung.
Damit steht dem Pestizidhersteller eine Absicherung seiner Erträge
zur Verfügung.
Eine
weitere Anwendung liegt in einem Verkauf von Pestiziden an einen
Landwirt mit einer eingebetteten Wetteroption. Der Landwirt zahlt an
den Hersteller zu Beginn der Saison einen Festbetrag. Der Hersteller
seinerseits liefert dem Landwirt Pestizide, deren Menge sich an der
Anzahl der akkumulierten Gradtage orientiert. Ist das Wetter geeignet
für einen Insektenbefall (also mehr Gradtage als der Durchschnitt),
erhält der Landwirt mehr Pestizide ohne Zusatzkosten.
Gegenwärtig
werden verschiedene Alternativen zur optimalen Verwendung von
Wetterderivaten zur Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft
untersucht. Obschon ein Chemikalienbetrieb potenziell in der Lage ist,
sich gegen Umsatzeinbußen aufgrund ungünstigen Wetters abzusichern,
gibt es einige Varianten. Einer der einfachsten Ansätze für ein
Unternehmen, dessen Umsatz von der Anzahl kumulierter „Schädlings-Gradtage“
abhängt, besteht in einem Swap auf einer Gesamtzahl von „Schädlings-Gradtagen“.
Bei einem Swap (oder Forward) zahlt das Unternehmen, wenn die Zahl der
kumulierten „Schädlings-Gradtage“ größer als normal ist. Im
umgekehrten Fall (unterdurchschnittliche
„Schädlings-Gradtage“) erhält das Unternehmen Geld. Bei
lediglich durchschnittlichen Gradtagen erhalten weder der
Chemikalienhersteller noch die Gegenpartei Geld. Bei hoher Korrelation
zwischen „Schädlings-Gradtagen“ und Erträgen/Erlösen wird der
Swap dem Chemikalienhersteller beträchtliche Sicherheit bieten.
Anwendungen
in der Tourismusbranche
Betreiber
von Skigebieten fürchten eines besonders: einen milden, schneearmen
Winter. Betreiber von Vergnügungsparks haben eher mit
Verdienstausfall durch zu viele Regentage zu tun.
Nachfolgend
wird am Beispiel eines Skigebietes in Telluride, Colorado, USA,
demonstriert, wie Wetterderivate zur Absicherung der Einkünfte
beitragen können. Dabei gibt es drei grundsätzliche Möglichkeiten:
-
Der Käufer einer Put-Option bezahlt eine Prämie, und
die Option wird fällig, wenn der tatsächliche Schneefall unterhalb
einer bestimmten „Marke“ liegt („Strike“). Die Zahlung erfolgt
in Abhängigkeit vom Schneeausfall, z.B. 100 000 US$ pro Inch, wobei
beliebige Werte vereinbart werden können.
-
Eine
zweite Möglichkeit besteht in einem Swap mit einer Gegenpartei.
In diesem Fall zahlt keine der Parteien eine Prämie. Liegt der
Schneefall unterhalb des Strike, so zahlt Aquila Energy 100 000
US$ pro Inch Schneeausfall an den Betreiber. Im umgekehrten Fall
(Schneefall oberhalb des Strike) zahlt der Betreiber. Der
wesentliche Sinn eines solches Swaps liegt in der Stabilisierung
der Erträge.
-
Aquila Energy kann auch vom Betreiber des
Skigebiets eine Call-Option erwerben. Ist der Betreiber in
„guten“ Schneefall-Jahren zuversichtlich, so verkauft er seine
Option. In diesem Fall erhält der Betreiber eine
Pauschal-Prämie. Liegt der Schneefall unterhalb der „Marke“ (Strike),
behält der Betreiber seine Prämie. Liegt der Schneefall oberhalb
des Strike, zahlt der Betreiber an den Käufer des Vertrags.
Diese
drei Varianten werden im folgenden noch näher beschrieben. Obwohl
auch Kombinationen möglich sind, werden diese der Einfachheit halber
aber nicht ausgeführt.
In
Telluride fielen zwischen dem 1. Januar und dem 30. April über einen
Zeitraum von 40 Jahren im Mittel 114 Inches Schnee, und der Schneefall
variierte in dieser Periode erheblich. Im letzten Jahr fielen jedoch
nur 99 Inches; während der zurückliegenden sechs Jahre lagen die
Werte nahe bei 100 Inches. Diese erheblichen Schwankungen werfen daher
Fragen bezüglich der Datenanalyse auf. Untersuchungen belegen, dass
in Zyklen von etwa 20 Jahren Niederschlagsmengen im Westen der USA
einem wiederkehrenden Muster unterliegen. Die Variabilität erstreckt
sich auf extrem lange Zeiträume. Eine Schneemenge unterhalb der
75-Inch-Marke konnte zuletzt 1977 beobachtet werden. Dies zeigt, dass
es lange Zeiträume mit ausgeprägt unter- wie überdurchschnittlichem
Schneefall gibt. Der Mittelwert der letzen 20 Jahre lag bei 127 Inches
Schnee.
Die
komplexe Auswertung dieser Daten führt zu folgendem Wetterderivat:
Bei Erwerb einer Put-Option mit Strike bei 80 Inches Schneefall und
einer Leistung von 100 000 US$ pro Inch Schneefall beträgt der Wert
dieser Option nominal 300 000 US$. Der Wertverlauf der Option lässt
sich wie folgt darstellen:
Für
Schneefall oberhalb von 80 Inches verliert der Käufer der Option 300
000 US$. Bei 70 Inches Schneefall erhält er 900 000 US$, bzw. 600 000
US$ vom Wert oberhalb der Prämie. Bei lediglich 60 Inches Schneefall
erhält er bereits 1 600 000 US$ mehr als die Prämie. Der Preis der
Option berücksichtigt, dass der Durchschnitt der gesamten 20-Jahre über
dem Durchschnitt der Gesamtperiode liegt.
Eine
rein versicherungsmathematische Betrachtung der zurückliegenden 40
Jahre hätte eine Options-Prämie von 500 000 US$ ergeben. Mit anderen
Worten, der Options-Preis hat sich durch die genaue Analyse drastisch
verringert. Bei dem angegebenen Preis von 300 000 US$ würde sich eine
Auszahlungsleistung (oberhalb der Prämie) von 1,4 Mio. US$ einmal
alle 20 Jahre ergeben.
Eine
Alternative zu der beschriebenen Struktur ist ein Swap ohne Premium,
der besonders für Versorgungsunternehmen attraktiv sein kann. Bei
einem Swap würde der Aussteller bei wenig Schneefall zahlen, und der
Käufer zahlt, falls mehr Schnee als vereinbart fällt. Bei
durchschnittlichem Schneefall („Normalität“) zahlt niemand etwas.
Normalität heißt, dass der Strike im Falle von Telluride z.B. auf
105 Inches festgelegt wird und damit über dem Durchschnitt der
letzten sechs Jahre liegt. Es ergeben sich dann folgende Leistungen:
Unterhalb
des 105-Inch-Strike erhält der Betreiber
100 000 US$ pro Inch für das gesamte untere Niveau. Maximal
beträgt die Leistung des Ausstellers 5 000 000 US$. Umgekehrt erhält der Aussteller vom Betreiber
der Anlage 100 000 US$
pro Inch oberhalb des 105-Inch-Strikes. Dieses Tauschgeschäft dient
dem Betreiber als Absicherung gegen Ertragsverluste, deren
Finanzierung in Jahren mit gutem Schneefall ermöglicht wird.
Eine
dritte Variante besteht im Ausstellen einer Call-Option durch den
Betreiber. Der Betreiber erhält dafür eine Voraus-Prämie. Liegt der
tatsächliche Schneefall über dem bestimmten Strike, zahlt der
Betreiber. Das Schreiben einer Call-Option sichert dem Betreiber also
stabile Einkommensverhältnisse. Ein Unternehmen wie Aquila Energy würde
in einem solchen Szenario die Option vom Betreiber kaufen. Welches
Interesse würde es damit verfolgen?
Da
der Betreiber über einen natürlichen Schutz verfügt (nämlich erhöhte
Erträge in Jahren mit gutem Schneefall), kann er die Option zu einem
Preis an Aquila Energy verkaufen, der im Rahmen ihrer
Portfolio-Betrachtung Sinn macht. Bei hinreichend großem Portfolio an
Wetterderivaten kann der Erwerb solcher Call-Optionen für Schneefall
das Portfolio verbessern. Der Optionspreis ist gleichermaßen
attraktiv für Käufer und Verkäufer.
In
dem hypothetischen Fall von Telluride verkauft der Betreiber seine
Call-Option an Aquila Energy mit folgenden Eckdaten:
|
US$ 250 000
160 Inches
200 Inches
US$
100000/Inch
|
Liegt
das Schnee-Niveau unter der 160-Inch-Marke, behält der Betreiber die
250 000 US$ als Ertrag in Jahren mit schlechtem Schneefall.
Der
Charme dieser Call-Option für den Betreiber ergibt sich aus der
statistischen Betrachtung (nachfolgende Abbildung) der
Eintrittswahrscheinlichkeiten: In ungefähr 80 % aller Fälle
verbleibt die gesamte Prämie bei ihm. In 1 % aller Fälle führt
diese Option zur Zahlung von 3,75 Mio. US$ netto an den Käufer. Der
Betreiber hat eine „natürliche“ Risikoabsicherung durch das
Schreiben einer solchen Call-Option, da mehr Schnee immer höhere Erträge
bedeutet.
Das
Schreiben einer Call-Option ist auch vergleichbar mit dem Verkauf von
Ski-Pässen: Der Betreiber wird immer gesicherte Erträge einer
ungewissen zukünftigen Cash-Flow-Situation vorziehen. Daraus lässt
sich ein weiteres derivatives Produkt entwickeln: Was wäre, wenn ein
Betreiber bei schlechten Schnee-Bedingungen einen Nachlass auf
Liftkarten gewähren würde? Die Bedingung wäre z.B. gesamte
Schneedecke oder wöchentlicher Neuschneefall. Der Ertrag durch das
Schreiben einer Option könnte dann die Werbekosten für die Aktion
abdecken. Werbetechnisch bietet der Betreiber eine
„Schneefall-Garantie“ an, ein Produkt, das bereits in den USA von
Aquila Energy vermarktet wird.
Die
genannten Beispiele dienen der Veranschaulichung, lassen sich aber für
jeden Einzelfall maßgeschneidert strukturieren. Während die
Put-Option einer Versicherungspolice ähnelt, sind Swaps und
Call-Optionen einzigartig und nur über Wetterderivate verfügbar.
Ihre hohe Flexibilität ermöglicht eine Strukturierung für nahezu
beliebige Perioden und Eintrittsbedingungen. Man kann auch doppelte
Eintrittsbedingungen konstruieren (sogenannte „Double Trigger“),
z.B. niedriger Schneefall bei gleichzeitigen niedrigen
Durchschnittstemperaturen, was die Produktion von Kunstschnee unmöglich
macht.
Das
Strukturieren von Schneefall und anderen Wetterderivaten ist nur durch
die Verfügbarkeit der Daten begrenzt, im beschriebenen Beispiel die
Zeitreihe des Schneefalls. Die Daten müssen zuverlässig und
nachvollziehbar sein. Für ihre Auswertung ist eine Expertise
erforderlich, die nur aus langjähriger Erfahrung resultiert. Dann können
auch mehrjährige Verträge strukturiert werden.
Weitere
Anwendungsmöglichkeiten von Wetterderivaten
Ein
Stahlwerk benutzt Kohlenstaub zur Zusatzfeuerung eines Hochofens. Der
Kohlenstaub wird dem ansonsten verwendeten Erdgas zugemischt, um die
Abhängigkeit von diesem Brennstoff zu reduzieren und die Wärmeausbeute
zu erhöhen. Gleichzeitig werden die Brennstoffkosten gesenkt. Ungünstiges
Wetter kann diese Rechnung allerdings durchkreuzen. Kälte- und Nässeperioden
können die Einspritzung des Kohlestaubs verhindern oder verringern.
Der Betreiber des Werkes weiß aus Erfahrung, dass eine bestimmte
Kombination von Regenfällen mit sinkenden Temperaturen zum Einfrieren
seiner Kohlenstaubvorräte führt. Zudem muss er befürchten, dass die
dann notwendige zusätzliche Erdgasbeschaffung nicht gelingt oder
teuer wird. Ein Wetterderivat würde die erhöhten Brennstoffkosten während
einer kombinierten Nässe-/Kälteperiode absichern. Das Derivat kann
auch physisch strukturiert werden, d.h., die Lieferung von Erdgas
statt eines finanziellen Ausgleichs vorsehen.
Der
Betreiber eines Golfkurses kann sich durch eine Obergrenze („Cap“)
von Regentagen innerhalb einer Golfsaison absichern. Er zahlt eine
Vorausprämie als Ausgleich für die Absicherung. Übersteigt die
Anzahl der Regentage die vorher festgelegte Grenze („Strike“), erhält
er eine Ausgleichszahlung. Sein Verdienstausfall ist daher effektiv
begrenzt. Strukturiert man das Derivat als „Collar“ (einer
Kombination aus Cap/Obergrenze und Floor/Untergrenze), kann auf das
Premium ganz verzichtet werden. Der Kunde erhält Schutz gegen ungünstiges
Wetter, gibt allerdings gleichzeitig Vorteile extrem günstiger
Wetterbedingungen auf.
Wetterderivate
können auch die Finanzierung von Energieprojekten erleichtern, z.B. für
Windkraftanlagen. Oft scheitern derartige Projekte an den ungenügenden
Sicherheiten der Verzinsung des eingesetzten Kapitals, das von der
Menge erzeugten Stroms abhängt. An Tagen mit zu geringer
Windgeschwindigkeit kann genügend Strom in das Netz eingespeist
werden. Falls die Windgeschwindigkeit garantiert werden könnte, wären
auch die Erträge gesichert. Dieses Geschäft lässt sich am
einfachsten finanziell strukturieren, indem bei zu geringer
Windgeschwindigkeit eine Zahlung an den Betreiber der Anlage erfolgt.
Am anderen Ende des Spektrums kann eine Zahlung erfolgen, falls die
Anlage wegen zu hoher Windgeschwindigkeiten abgeschaltet werden muss.
Oft
wird behauptet, dass Wetterderivate keine Unterschiede zu einer
Versicherung aufweisen. Damit soll begründet werden, dass für diese
Produkte kein Markt besteht.
In
der Tat sind Wetterderivate eine Alternative zu
Versicherungsprodukten. Im Unterschied zur Versicherung wird aber kein
Schadensfall versichert und also auch kein Schadenersatz gezahlt. Es
geht nicht um Schäden oder Verluste, sondern um die Differenz
wetterabhängiger Variabler von vorher festgelegten
Eintrittsbedingungen. Ist dieses Prinzip einmal verstanden, sind die
Anwendungsmöglichkeiten grenzenlos.
Zwei
große Herausforderungen bestehen bei der Strukturierung von
Wetterderivaten, nämlich die Datenanalyse und die Bepreisung. Die
hierfür erforderliche Expertise ist allerdings nur bei wenigen
Unternehmen vorhanden.
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